Die Henne, das Ei und der Agile Coach

Teil 1 – Das Dilemma

Das ist eine echte Gretchenfrage: Ist der Agile Coach nur Coach im Sinne des Coachings? Oder darf/ soll/ muss er in Führung gehen, Anleiten, Bestimmen, WIE agil umzusetzen ist?

Derzeit darf sich der eine oder andere Qualitätsmanager im Unternehmen fragen lassen, warum er denn nun überhaupt noch gebraucht wird. Jetzt, da alles agil ist, ist ja die Qualität auch im Entstehungsprozess eingebaut, denn genau das stünde ja der Definition von agil: kontinuierliche Verbesserung. Wozu also noch jemanden von außen, wir haben doch den Agilen Coach!?

Gleichzeitig gibt es andere, die den Agilen Coach als Coach im systemischen Sinne verstanden wissen möchten, also als Hilfe zur Selbsthilfe, immer mit der coachenden Haltung durch systemische Fragen das Team selbst auf seine Antwort kommen lassend.

Doch, wäre es nicht recht merkwürdig, von „alles ist vorgegeben und wird nochmals überprüft“ zu „alles ist freiwillig zu wechseln“? Wie soll so sichergestellt werden, dass die Qualität der Ergebnisse notwendig hoch und die Abdeckung bzw. Einhaltung von Normen und Regularien nicht vergessen wird? Denn es würde doch auch niemand auf die Idee kommen, einen neuen Grundschüler am ersten Schultag alleine in die Schule gehen zu lassen, nur weil man einmal den Weg gemeinsam gegangen ist. Wieso diskutieren wir dann, ob ein Team sich von alleine in eine neue Welt bewegen kann, und ob es alleine qua Einsicht „alle notwendigen Maßnahmen zur Einhaltung der erforderlichen Qualität“ erkennt und umsetzt? Man würde sein Kind ja auch nicht ausprobieren lassen, wo es über die Straße geht und wann. Stattdessen bekommt das Kind klare Regeln vorgegeben, die mit dem Alter (und der Erfahrung, die hier hoffentlich korreliert) gelockert werden. Aber bei einem agilen Team gehen wir davon aus, dass das Umlernen ohne angeleitete Übung stattfindet? Das passt nicht zusammen.

Damit dreht sich die Argumentation im Kreis. Und wäre man sich sicher, dass die beiden obigen Argumente zu den Aufgaben des Agilen Coaches von unterschiedlichen Personengruppen kämen, so wäre vielleicht alles in Ordnung. Jedoch beschleicht einen das Gefühl, das es ein wenig so ist wie man unlängst an einer Bürotür lesen konnte: „Die, die das Rentenalter verlängern wollen und die, die keine Menschen über 50 einstellen – das sind dieselben, oder?“.

Teil 2 – Die Sache mit der Qualität

Im ersten Teil haben wir die möglichen Sichten auf die Aufgaben eines Agilen Coaches diskutiert. Was wäre denn, wenn plötzlich die Entweder-Oder-Frage gestellt würde? Mal angenommen, der Agile Coach sei rein „systemisch unterwegs“.

Nun könnte parallel dazu angenommen werden, dass Qualitätsmanager nicht länger gebraucht würden, da ja das Team für die Qualität im Agilen Sinne Sorge trage und verantwortlich sei.

Wenngleich das Ideal, dass Projektmanager und Qualitätsmanager Hand in Hand arbeiten noch nicht immer erreicht war, so konnte man doch in den vergangenen Jahren eine verstärkte Gemeinschaftlichkeit wahrnehmen. Insbesondere mit der wachsenden Bedeutung des organisationalen Lernens hatte (und hat) der Projektmanager eigentlich einen guten Partner an seiner Seite. Eigentlich. Denn oft braucht es zum Erkennen einer Nützlichkeit die Erfahrung. Nun sind es aber oft die jungen Projektleiter, die nur noch Scrum (als Platzhalter für einen beliebigen agilen Ansatz) wollen, und denen fehlt eben oft die Erfahrung, die es braucht, um zu wissen, wie Qualität sicherzustellen ist. Und so ist manch einer versucht, ein funktionierendes System abzuschaffen, bevor er ein neues funktionierendes System geschaffen hat, nämlich ein agiles Team in dem jeder einzelne die Qualität hochhält und dafür Sorge trägt – sprich verantwortlich ist.

Teil 3 – Die Sache mit der Erkenntnis

Zurück zum Agilen Coach und seinem Team. Was nun, wenn beim zu coachenden Team die Erkenntnisse ausbleiben? Wenn gar – was gerne passiert: „Das geht bei uns nicht?“ als Ausrede für Nicht-Veränderung benutzt wird? Fällt der Agile Coach nun aus seiner Rolle, oder was sollte nun passieren? Denn trotz Definition of Done (DoD) und Acceptance Criteria hat man schon Teams gesehen, die diese entweder nicht einhielten, nicht überprüften, sich von ihrem Management eines besseren Belehren ließen…..

Eine Möglichkeit wäre nun, den Agilen Coach in der englischen Definition des Coachs zu definieren, hier ist es der Fußballtrainer, der mit einer coachenden Grundhaltung dennoch auch Trainer und Berater (‚Consulting‘) in einer Person ist.

Und so könnte in der Tat eine Arbeitshypothese sein, dass je unerfahrener das Team, desto mehr Training (in Form von Wissensweitergabe) und Beratung der Coach zu leisten hat. Dies mit einer coachenden Grundhaltung zu tun, versteht sich von selbst.

Denn letztlich existiert alles nur, weil das Unternehmen als Unternehmung ein Versprechen abgegeben hat, den sogenannten Unternehmenszweck. Und diesen Unternehmenzweck gilt es mit effizientem Arbeitsmitteleinsatz zu erreichen. Das war übrigens schon immer so. Auch im „traditionellen“ Projektmanagement.

Die Realität ist eben nicht das Ideal; sondern Teams, die sich gerade finden, neu zusammengestellt sind, die motiviert sind, denen es oft an Erfahrung fehlt. Oder die aus erfahrenen Hasen bestehen, die vielleicht zwar die Veränderung zur Agilität begrüßen, die aber in ihren eigenen Mustern umlernen dürfen zu neuen Muster. Diese Verhaltensmuster waren es jedoch oft, die sie so erfolgreich gemacht hatten – in der Vergangenheit.

Somit sind agile Teams genauso Projektteams mit Individuen, die die verschiedenen persönlichen Entwicklungen gegangen sind oder noch gehen wollen oder manchmal auch nicht gehen wollen…. Daher gibt es auch nach Jahren professionellen Projektmanagements in vielen Organisationen immer noch Qualitätsmanager, die dafür sorgen, das Produkt- und Methodenqualität eingehalten werden, indem sie Dokumente kontrollieren (so war es nicht gedacht) –  und vielleicht braucht der Agile Coach deswegen immer eine coachende Haltung, aber manchmal bis oft mehr als nur Coaching um voranzukommen und ist somit auch: Trainer, Berater, Mentor, Advisor, Führungskraft…..

Und wie immer hilft: Eine gute Auftrags – und Zielklärung, damit vorher klar ist, was hinterher rauskommen soll.

Fazit

Auch wenn es toll wäre – die Wunschvorstellung eines jeden Agilen Coaches – so reicht ein rein systemisch agierender Coach oft nicht aus. In der Realität kann eben nicht davon ausgegangen werden, dass Reifegrad und Motivation des Teams ausreichend dafür sind, sodass es gleichzeitig zum bestmöglichen Beitrag für den Unternehmenszweck kommt.

Und vielleicht ist es ein schönes Ziel, genau darauf hinzuarbeiten?!

Anmerkung: Diesen Blogbeitrag hatte ich ursprünglich als Artikel auf Linkedin am 11.7.2018 veröffentlicht.